DDR-Literatur. Eine Archivexpedition

Tagung

Literatur in der DDR war nicht homogen, sondern speiste sich aus der Fülle der Lebenserfahrungen von Schriftstellern verschiedener Generationen, von kommunistischen Remigranten wie Anna Seghers bis zu oppositionellen bzw. systemkritischen Autoren wie Thomas Brasch und Jurek Becker, die die DDR nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns verließen. Die literarischen Nachlässe der Protagonisten bilden einen Sammlungsschwerpunkt im Archiv der Akademie der Künste. Die Tagung in der Akademie und die im Dezember 2012 vorausgegangene Veranstaltung im Deutschen Literaturarchiv Marbach haben sich zum Ziel gesetzt, auf weithin unbekannte Archivbestände aufmerksam zu machen und der Forschung neue Anstöße zu geben.

Kooperative Doppeltagung des Literaturarchivs der Akademie der Künste in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, 2. Teil: Der Künstler und der Apparat

Gesamtprogramm 11. und 12. April
DDR-LITERATUR – EINE ARCHIVEXPEDITION

Donnerstag, 11. April

13.00 Uhr
Grußwort Ingo Schulze
Moderation Erdmut Wizisla

13.15 Uhr
Sabine Wolf, Berlin
Berliner Bestände zur DDR-Literatur, Zuschreibungen und Problematik

14.00 Uhr
Roland Berbig, Berlin
DDR-Literatur – archiviert. Sammelbegriff oder Sammelsurium? Ein Aufriß.

14.45 Uhr
Carsten Gansel, Gießen
Neue Quellenerschließung als Irritation für die Literaturgeschichtsschreibung -
DDR-Schriftstellerverband, "soldatisches Opfernarrativ" und "harte Schreibweise"

15.30 Uhr Pause

Moderation: Sabine Wolf

16.00 Uhr
Ute Brandes, Amherst, Massachusetts
Umdenken: Anna Seghers‘ unveröffentlichte Literatur, 1947-1949

16.45 Uhr
Helmut Peitsch, Potsdam
Remigration, Übersiedlung und Westarbeit

17.30 Uhr
Claude Conter, Luxemburg
Bruno Apitz – Faschismusbewältigung und (Selbst-)Zensur 

18.15 Uhr Pause

20.00 Uhr, Plenarsaal, Pariser Platz 4
Reinhard Jirgl: Mutter Vater Roman.
Lesung und Exkurs zur Veröffentlichungsgeschichte
Einführung: Norbert Miller

Freitag, 12. April

Moderation Roland Berbig

10.00 Uhr
Maria Büttner, Berlin
Im "engsten Freundeskreis" – Fundstücke zu einer Geburtstagmappe für Erich Arendt in der Franz-Fühmann-Sammlung der Akademie der Künste Berlin

10.45 Uhr
Siegfried Lokatis, Leipzig
Neuere Leipziger Studien zur Verlagslandschaft in der DDR

11.30 Uhr
Stephan Pabst, Jena
Roman und Reflexion. Wolfgang Hilbigs Arbeit am Text - „Eine Übertragung“.

12.15 Uhr Pause

13.15 Uhr
Kristin Schulz, Berlin
„Die Versetzungsgefährdeten / sollten sich / bessere Lehrer suchen / Als mich.“ Archiv und Werk Georg Seidels

14.00 Uhr
Podiumsdiskussion, u.a. mit Birgit Dahlke, Berlin, Ulrich von Bülow, Marbach,

Kontakt
Sabine Wolf – Leiterin des Literaturarchivs der Akademie der Künste, Berlin
Robert-Koch-Platz 10, 10115 Berlin – E-Mail: swolf@adk.de, Tel. 030-20057-3272

Veranstaltungsort Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, Clubraum
Verkehrsverbindungen S Bellevue, U Hansaplatz, Bus 106, Telefon +49(0)30-200 57-2000
(Abendveranstaltung, 11. April, am Pariser Platz 4)
Um Anmeldung wird gebeten.


> Programm der Tagung (PDF 37kb)
> Anmeldung: literaturarchiv@adk.de 

Freitag, 12.4.2013

10 Uhr

Hanseatenweg

Clubraum

Kooperative Doppeltagung des Literaturarchivs der Akademie der Künste in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach

Do 13–18 Uhr
Fr 10–16 Uhr

Eintritt frei (Anmeldung erbeten)
Dokumentation

DDR-Literatur. Eine Archivexpedition

Gemeinsam veranstalteten das Literaturarchiv der Akademie der Künste und das Deutsche Literaturarchiv Marbach eine Doppeltagung zur "DDR-Literatur". Das erste Kolloquium hatte Ende 2012 in Marbach stattgefunden und sich v.a. an der Thematik der Dissidenz orientiert, das zweite Treffen am 11./12. April 2013 in Berlin stand unter dem Titel "Der Künstler und der Apparat", nahm also das Verhältnis von Künstlern und Kulturpolitik bzw. staatlichen Künstlerverbänden in den Blick.
Ingo Schulze, Direktor der Sektion Literatur, begrüßte die Teilnehmer und zahlreiche Gäste am Hanseatenweg. Mehr als ein Drittel der etwa 330 Bestände des Literaturarchivs zeichnet sich durch starken Bezug zur (Literatur-)Geschichte der DDR aus. Sabine Wolf, Leiterin des Literaturarchivs, stellte die DDR-relevanten Bestände im Überblick und anhand einiger konkreter Beispiele dar.
Roland Berbig (Humboldt-Universität zu Berlin) setzte sich mit den Facetten des Terminus' "DDR-Literatur" auseinander. Über Forschungen zur Verlagslandschaft der DDR berichtete Siegfried Lokatis (Universität Leipzig) aus der Perspektive des Historikers und Buchwissenschaftlers. Carsten Gansel (Justus-Liebig-Universität Gießen) untersuchte Diskussionen des Schriftstellerverbandes der DDR zu Texten von Siegfried Pitschmann und Harry Thürk, die mit ihrer an Hemingway orientierten 'harten' Schreibweise eher Romanen der frühen Bundesrepublik nahestanden. Gansel beschrieb sie in der Terminologie Niklas Luhmanns als 'Störfälle' im System der DDR-Literatur, das sich diese und andere 'Störfälle' nicht als Anlässe zu Lernprozessen zunutze machte, sondern sie durch Zensur ausschaltete und nicht zuletzt daran scheiterte, dass es Transformationen kaum zuließ.
In direktem Bezug zu den Beständen des Akademiearchivs standen eine Reihe hochinteressanter Fallstudien: Ute Brandes (Amherst College, Massachusetts) stellte Texte von Anna Seghers aus den Jahren 1947-49, die bislang eher als peripher angesehen worden waren, als eigenständige, ästhetisch avancierte Werke plausibel in den Kontext der "Trümmerliteratur". Maria Büttner (Berlin) zeichnete die Spuren von Freundschaftsbeziehungen um Erich Arendt nach. Claude Conter (Centre national de littérature / Lëtzebuerger Literaturarchiv, Luxemburg) zeigte an der Novelle "Esther" von Bruno Apitz, wie der Autor seinen schon während der KZ-Haft begonnenen Text den ideologischen Ansprüchen der DDR anpasste. Stephan Pabst (Friedrich-Schiller-Universität Jena) verfolgte minutiös die Überarbeitungsstufen von Wolfgang Hilbigs Erzählung "Eine Übertragung", vor allem hinsichtlich der Reflexionen auf die Sprache und das Erzählen selbst. Helmut Peitsch (Universität Potsdam) analysierte die Remigration Walter Victors aus den USA in die DDR und die Übersiedelung von Ernst Schumacher und Peter Hacks aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR mit ihren literarischen und politischen Implikationen. Kristin Schulz (Humboldt-Universität zu Berlin) setzte sich mit intertextuellen Bezügen innerhalb des Werks von Georg Seidel, vor allem zu "Carmen Kittel" auseinander.
Aus den Vorträgen war, ebenso wie aus den sich anschließenden Diskussionen, den angeregten Gesprächen zwischendurch und der abschließenden Podiumsdiskussion mit Ulrich von Bülow (Deutsches Literaturarchiv Marbach) und Birgit Dahlke (Humboldt-Universität zu Berlin) vor allem eines zu entnehmen: Dass die Diskussion über Literatur, die in der DDR oder in Auseinandersetzung mit ihr entstand, und zu vielen damit verknüpften Themenbereichen alles andere als abgeschlossen ist. Vielleicht ist jetzt erst der Zeitpunk gekommen, an dem eine von Polemik freie, analytische Auseinandersetzung möglich wird. Archive, in der Akademie, in Marbach und an anderen Stellen, sind dafür essentiell, denn nur dort finden sich unveröffentlichte Materialien, die neue Sichtweisen oft erst möglich machen.


Lesung Reinhard Jirgl "Mutter Vater Roman"

Als Begleitveranstaltung zum Kolloquium "DDR-Literatur. Eine Archivexpedition" las Akademiemitglied Reinhard Jirgl am 11. April 2013 im Plenarsaal am Pariser Platz aus seinem literarischen Debüt "Mutter Vater Roman". Die Leiterin des Literaturarchivs, Sabine Wolf, begrüßte die Gäste. Norbert Miller, Akademiemitglied und langjähriger Ordinarius für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, stellte den Autor vor und führte in sein Werk ein. Anschließend berichtete Reinhard Jirgl über die Entstehung des Textes, der in der DDR zunächst nicht erscheinen konnte und dann in der von Gerhard Wolf im Aufbau-Verlag betreuten Reihe "Außer der Reihe" erscheinen sollte, was erst 1990 tatsächlich geschah. Drei Jahre später wurden die Restbestände makuliert, so daß die Erstausgabe heute ein äußerst seltenes (und teures) Stück ist. Erst im Jahr 2012 wurde der Text bei Hanser neu aufgelegt. In aller Härte und dabei höchst artifiziell stellt Jirgl darin die Schicksale zweier Protagonisten, Margarete und Walter, in ihrer Umgebung und den letzten Kriegsjahren und der frühen Nachkriegszeit dar. Vor 1989 hatte Jirgl mehrere Manuskripte fertiggestellt, die jedoch allesamt nicht erscheinen durften, und "Mutter Vater Roman" ging in den ersten Nachwendejahren auf dem literarischen Markt unter. Erst mit dem Roman "Abschied von den Feinden" (1995), für dessen Manuskript er 1993 den Alfred-Döblin-Preis erhalten hatte, wurde die Bedeutung seiner Texte angemessen gewürdigt. Inzwischen erhielt Jirgl zahlreiche Literaturpreise und -stipendien, darunter 2010 den Georg-Büchner-Preis. Im Februar 2013 erschien sein neuester Roman "Nichts von euch auf Erden".

Helga Neumann

DDR-LITERATUR – EINE ARCHIVEXPEDITION

Kooperative Doppeltagung des Literaturarchivs der Akademie der Künste in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach vom 11. bis 12. April 2013 in der Akademie der Künste, Berlin, Hanseatenweg 10     > Tagungsprogramm  (PDF-Datei)

Fotos

Blick in den Plenarsaal, Lesung Reinhard Jirgl im Rahmen der Tagung zur DDR Literatur in der AdK, Berlin, 11.04.2013

Sabine Wolf, die Leiterin des Literaturarchivs der AdK begrüßt die Gäste zur Lesung von Reinhard Jirgl

Einführung von Norbert Miller in das Werk von Reinhard Jirgl

Reinhard Jirgl liest aus seinem Buch Mutter Vater Roman

Fotos Hans-Jörg Schirmbeck